Erstes Wirbeltier mit jährlicher Allochronie: Chamaeleo chamaeleon musae

Erstes Wirbeltier mit jährlicher Allochronie: Chamaeleo chamaeleon musae

Wissenschaft

Allochronie beschreibt das Phänomen, dass zwei oder mehr Populationen einer Art zeitlich unterschiedliche Fortpflanzungszyklen haben, obwohl sie im gleichen Lebensraum vorkommen. Bei der sogenannten jährlichen Allochronie pflanzen sich die Populationen zu unterschiedlichen Jahreszeiten fort. Allochronie ist von vielen verschiedenen Arten bekannt, beispielsweise bei Insekten und Korallen, die zu verschiedenen Zeiten am Tag reproduzieren. Jährliche Allochronie dagegen ist extrem selten und bei Wirbeltieren bisher noch nie nachgewiesen worden. Zwei Wissenschaftler aus Israel haben nun bei Chamäleons dieses Phänomen erstmals festgestellt.

Sie untersuchten zwischen 2009 und 2021 an je zwei Nächten pro Monat die Chamaeleo chamaeleon musae Populationen im Holot Mash’abim Nature Reserve in Israel. Das Reservat liegt im nördwestlichen Bereich der Wüste Negev. Bei der Studie wurden die Chamäleons von einem langsam fahrenden Auto aus mit Taschenlampen entlang eines 4 km langen Weges gesucht. Gefundene Tiere wurden vermessen, das Geschlecht bestimmt, der Fundort aufgenommen und die Krallen in einer bestimmten Abfolge zur Identifikation gekürzt. Alle Tiere wurden innerhalb weniger als 20 Minuten wieder an ihrem Fundort freigelassen. Um das Alter der Tiere einzuschätzen, wurden zum einen die Zeiträume zwischen den Wiederfunden bereits markierter Tiere genutzt, aber auch ein mittels XGBoost entwickelter Algorithmus. Die Chamäleons konnten so den Altersklassen < 1 Jahr, 1-2 Jahre und > 2 Jahre zugewiesen werden. Alle Daten wurden statistisch ausgewertet.

Die erstaunlichen Ergebnisse zeigen, dass Chamaeleo chamaeleon musae wahrscheinlich in zwei voneinander durch jährliche Allochronie getrennte Population in der Wüste Negev vorkommt. In ungeraden Jahren schlüpft eine Population der Chamäleons im September. Diese Tiere überleben etwa bis November des darauffolgenden Jahres. In geraden Jahren schlüpft die zweite Population der Chamäleons, deren Tiere ebenfalls bis zum November des Folgejahrs leben. Die Lebenszeit der beiden Populationen überschneidet sich nur in einem kurzen Zeitraum, in dem gerade die eine Population schlüpft, die bereits adulten Tiere der anderen Population aber gerade Eier legen. Die fortpflanzungsfähigen Chamaeleo chamaeleon musae beider Populationen überschneiden sich damit nicht oder nur sehr selten durch sehr wenige, länger lebende Individuen.

Insgesamt konnten die Wissenschaftler 1289 Chamäleons < 1 Jahr, 231 im Alter von 1 bis 2 Jahren und 27 Chamäleons > 2 Jahre finden. Davon waren 713 Chamaeleo chamaeleon musae bereit als Jungtiere erstmalig gefangen worden, so dass deren Alter sehr gut geschätzt werden konnte. Nur 9 davon wurden im Alter zwischen 1 und 2 Jahren noch einmal wiederentdeckt. Die Überlebensrate der Schlüpflinge bis zu ihrer ersten Fortpflanzungssaison war extrem niedrig. In ungeraden Jahren lag sie bei 1%, in geraden bei 2,5%. Das erste Jahr überlebten sogar noch weniger Chamäleons, mit 0,46% und 1,3%. Beide Populationen von Chamaeleo chamaeleon musae waren im ersten und zweiten Schlupfmonat am größten, um dann zügig abzusinken. Männliche Chamäleons überlebten die erste Fortpflanzungssaison ein bisschen seltener als weibliche, insgesamt war die Überlebensrate aber bei beiden Geschlechtern ähnlich. In jedem Beobachtungsjahr tauchten die ersten Schlüpflinge zwischen Mitte September und Mitte Oktober auf, zum Ende der heißen Saison. Während der kühleren und nässeren Saison von Dezember bis März wurden deutlich weniger Chamäleons, davon die meisten Jungtiere, gefunden.

Diese sehr spannende Studie wirft natürlich viele weitere Fragen auf. Kurzlebige Chamäleons gibt es einige, doch von nur wenigen wie Furcifer labordi ist der gesamte Lebenszyklus überhaupt bekannt oder untersucht. Möglicherweise finden sich noch mehr Wirbeltiere mit jährlicher Allochronie unter den Chamäleons – das gilt es noch zu erforschen!

First evidence of yearly allochrony in a terrestrial vertebrate: A case study of an annual chameleon
Liran Sagi, Amos Bouskila
Ecology 106(6), 2025: e70144
DOI: 10.1002/ecy.70144

Foto: Chamaeleo chamaeleon, fotografiert von Markus Grimm

Pantherchamäleons auf Madagaskar

Pantherchamäleons auf Madagaskar

Allgemeines Verbreitung Zeitungsartikel

In der alle zwei Monate erscheinenden Zeitschrift der DGHT e.V., der Elaphe, ist aktuell ein schöner Artikel zu den Pantherchamäleons Madagaskars erschienen. Geschrieben wurde er von zwei Mitgliedern der AG Chamäleons, die regelmäßig auf die Insel reisen.

Der Artikel beschreibt in Wort und Bild das Verbreitungsgebiet der Pantherchamäleonsa auf Madagaskar, das sich über die nördliche Hälfte der Insel erstreckt, genauer von einigen Kilometern südlich des Örtchens Ankaramibe im Nordwesten bis über den Norden Madagaskars und an der Ostküste herunter bis rund 90 km südlich der Hafenstadt Toamasina. Die Chamäleons kommen dabei vor allem in Sekundärvegetation in offenen Landschaften vor, aber auch in Kakaoplantagen, verwilderten Gärten und Regenwäldern vor.

Der Lebenszyklus der Pantherchamäleons auf Madagaskar wird vor allem von der Regenzeit zwischen November und März bestimmt. Die Chamäleons paaren sich während dieser Zeit. Die Weibchen legen nach 30 bis 40 Tagen zwischen 11 und 35 Eier in ein selbst gegrabenes Nest. Die Jungtiere schlüpfen erst in der nächsten Regenzeit.

Besonders ausführlich geht der Artikel auf die verschiedenen Lokalformen, das je nach Ort unterschiedliche farbliche Aussehen der männlichen Pantherchamäleons, ein. Die Autoren zählen aktuell über 30 verschiedene Lokalformen auf Madagaskar, die durch natürliche Barrieren wie Flüsse voneinandere getrennt vorkommen. Wahrscheinlich gibt es aber noch deutlich mehr, sie sind nur noch nicht alle entdeckt.

Pantherchamäleons (Furcifer pardalis) – Meister der Farben
Thorsten Negro und Alexandra Laube
Elaphe 3, 2023, pp. 12-25

Foto: Pantherchamäleon der Lokalform Ambanja auf Madagaskar, fotografiert von Thorsten Negro

Faktoren der geografischen Ausbreitung von Chamäleons

Faktoren der geografischen Ausbreitung von Chamäleons

Wissenschaft

Schon lange wird versucht zu ergründen, wie und warum Chamäleons sich über den afrikanischen Kontinent, auf Inseln und bis nach Europa und Asien ausgebreitet haben. Französische Wissenschaftler haben jetzt in Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen mittels Phylogenetik und verschiedenen Berechnungsmodellen untersucht, wie sich die Faktoren Körpergröße, küstennaher Lebensraum und extreme Lebensweisen auf die Verbreitung verschiedener Chamäleonarten ausgewirkt haben könnte. Die Studie untersuchte 181 Arten, die sich auf neun biogeografische Hauptregionen aufteilen: Nordafrika und Arabien, Zentralafrika, Südostafrika, Südwestafrika, Indien, Sokotra, Madagaskar, die Komoren und die Seychellen.

Chamäleonarten, die mehr als 10 km vom Meer entfernt vorkamen, verbreiteten sich historisch deutlich weniger als die 74 küstennah lebende Chamäleonarten. Ein ähnliches Phänomen ist von Skinken und Krokodilen bekannt. Die Verbreitung fand wahrscheinlich vor allem entlang der Küsten statt, zumeist auf dem gleichen Kontinent und nur selten über das Wasser zu anderen Kontinenten oder Inseln hin.

Die Größe der verschiedenen Chamäleons scheint ihre Ausbreitung in der Geschichte ebenfalls beeinflusst zu haben: Große Chamäleons verbreiteten sich weiter und häufiger als kleine Chamäleons. Das könnte damit zusammenhängen, dass größere Chamäleons eine geringere Stoffwechselrate haben – damit benötigen sie im Verhältnis zu kleineren Konkurrenten insgesamt weniger Energie. Außerdem legen größere Chamäleons Gelege mit deutlich mehr Eiern, wodurch sie ganz einfach zahlenmäßig im Vorteil sind.

Ein etwas unerwartetes Ergebnis erbrachte die Untersuchung verschiedener Lebenszyklen. Man würde zunächst annehmen, dass kurze Lebenszyklen mit schnellerer Verbreitung einhergehen. Tatsächlich zeigten die Berechnungen, dass vor allem Chamäleonarten mit extremen Lebenszyklen sich weiter verbreiteten. Wer also besonders langsam oder besonders schnell reproduzierte, war historisch unter Chamäleons erfolgreicher als die Arten „im Mittelfeld“. Die Autoren überlegen diesbezüglich, ob besonders langsame Lebenszyklen mit später Geschlechtsreife und langer Trächtigkeit möglicherweise auf dem gleichen Kontinent erfolgreicher sind, während schnellere Vermehrungsstrategien mit großen Gelegen günstiger für die Verbreitung übers Meer auf Inseln und andere Kontinente sind. Dazu passt, dass Furcifer polleni und Furcifer cephalolepis auf den Komoren und Chamaeleo zeylanicus in Indien, alles drei Beispiele für eine Ausbreitung übers Wasser, einen sehr schnellen Lebenszyklus aufweisen.

Die 34 Chamäleonarten mit der Kombination küstennah lebend, groß und extremen Lebenszyklus hatten zu 98% eine höhere Verbreitungsrate als Arten ohne diese Merkmale.  Insgesamt handelt es sich sicherlich um eine sehr theoretische Studie, die aber dennoch spannende Aufschlüsse über die historische Ver- und Ausbreitung von Chamäleons aufzeigt.

Chameleon biogeographic dispersal is associated with extreme life history strategies
Sarah-Sophie Weil, Laurie Gallien, Sébastien Lavergne, Luca Börger, Gabriel W. Hassler, Michaël P.J. Nicolaï & William L. Allen
Ecography
DOI: 10.1111/ecog.06323